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 Alles begann an einem Dienstag!

Es war einer dieser Dienstage, die sich anfühlten wie ein nicht enden wollender Montagmorgen. So, als wäre die Woche immer noch ganz am Anfang und das nächste Wochenende noch unendlich weit entfernt.

Seine morgendliche Stimmung entsprach ungefähr dem Niveau des Wetters, trüb und dunstig. Es war der 11. Oktober und ein kühler, feuchter und vor allem grauer Dienstag in Schottland. Der Sommer schien endgültig vorbei zu sein und dem Herbst Platz gemacht zu haben. Einige der Bäume weigerten sich zwar immer noch beharrlich ihr Blätterkleid zu verfärben, die meisten aber hatten bereits resigniert und sich bunt gewandet. Einige gaben sich sogar der perfiden Freude hin, ihre Blätter abzuwerfen und Passanten mit ihrer rutschigen gelb-roten Pracht ins Straucheln zu bringen. Die Feuchtigkeit der Luft pendelte permanent um ein Maß, welches von eingefleischten Schotten als erhöhte Luftfeuchtigkeit, von Touristen als Dauerregen bezeichnet wurde. Für ihn war es - trotz seiner schottischen Herkunft - einfach nur ein Sauwetter. Einer dieser Tage halt, an denen man sich am liebsten gar nicht viel nach draußen bewegen möchte, schon gar nicht zum Arbeiten. Am liebsten wäre er heute im Bett geblieben. Nicht, dass er etwa ein geborener Langschläfer wäre oder gar ein typischer Morgenmuffel. Er befand sich einfach nur in dieser immer wiederkehrenden teils melancholischen, teils traurigen Grundstimmung, die von den Erfindern moderner Krankheiten wohl als Herbst-Winter-Depression bezeichnet wurde. Eine Stimmung, in der er sich jedes Jahr aufs neue Gedanken über sein Leben, seine Interessen und seinen Beruf machte. Er fragte sich, was in aller Welt ihn eigentlich geritten hatte, genau diese Tätigkeit zu erlernen, der er momentan sein regelmäßiges Einkommen verdankte und wie der verdammte Berufsberater eigentlich damals hieß, der ihm nach der Schule diesen Job eingeredet hatte.

Graham Morrice, von fast allen nur Graeme genannt und seines Zeichens frischgebackener Manager der ortsansässigen Whisky-Distillery, bereitete sich wie immer mental darauf vor, den Tag zu erobern, während er sich die Bartstoppeln mit seinem Nassrasierer aus dem Gesicht schabte. Den Rasierer hatte ihm sein Vater geschenkt, als Graham noch ein Jugendlicher war und sich sein Vater eines von diesen neumodischen Plastikteilen mit zwei- bis dreifach eingelegten Klingenstückchen, zulegen wollte. Graham benutzte das alte, schwere Metallteil, in das eine ganze Rasierklinge eingelegt wurde, noch heute. Damit musste man zwar höllisch aufpassen, um sich nicht zu schneiden, aber die Haut war hinterher wirklich glatt und ohne Reststoppel. Er verzichtete grundsätzlich auf Rasierschaum und nahm als Gleitmittel für die Klinge lediglich Wasser aus dem heißen Wasserhahn des Waschbeckens.

Nach der Rasur betrachtete er sein Spiegelbild im Badezimmer und nickte sich zufrieden zu, während er mit beiden Händen seinem Gesicht durch klopfende und reibende Bewegungen verzweifelt etwas Farbe und Frische entlocken wollte. Er erzeugte damit aber nur etwas, was an hektische Flecken erinnerte, die aber zum Glück gleich wieder einem neutralen blässlichkäsiggrau wichen. Er war sicherlich kein Adonis und hatte auch nicht den gestählten Körperbau eines Athleten, aber seine 84 Kilogramm Körpergewicht verteilten sich gleichmäßig auf seine 185 cm Körpergröße, so dass er einen durchaus schlanken Eindruck erweckte. Na ja, ein bisschen dünn war er schon, gestand er sich ein. Sein einst so schönes volles und welliges weizenblondes Haar hatte sich schon deutlich gelichtet und seine Stirnglatze hatte den Weg für das Sonnenlicht bereits bis zur Mitte seines Kopfes freigelegt. Mit etwas Wehmut dachte er kurz an die Zeiten zurück, als seine Haarpracht noch eine Pracht und voll war und ihm bis auf die Schultern fiel. Aber früher war eh alles besser! Heute trug er sein Resthaar raspelkurz, so dass er schon seit Jahren keinen Haarfön mehr brauchte. Kaum hatte er sein Haar gewaschen und mit dem Handtuch abgerubbelt, schon war es getrocknet.

Etwas fiel ihm im Spiegel allerdings nicht auf, und das nicht nur, weil er seine Brille noch nicht aufhatte und mit seinen stark kurzsichtigen Augen den Kerl im Spiegel nur verschwommen erkennen konnte, sondern vor allem, weil er sich ja jeden Tag sah und dieses etwas als nichts Besonderes erkannte. Dieses etwas, war das, was sein Gesichtsausdruck allen anderen vermittelte. Die Lachfältchen um seine Augen, der immer noch leicht spitzbübige Blick und vor allem das verschmitzte Lächeln machten ihn einfach sympathisch.